Der Regen hat nachgelassen, der Lagerplatz des Mittelalterfestes unter der Burg Juvalt ist aufgeräumt, die Buchhaltung stellt das Defizit zusammen. Die 1. Domleschger Burgentage sind vorbei. Was bleibt?
Zuerst die Erkenntnis, dass ein solches Projekt des sanften Kulturtourismus rund um die Burgen und Schlösser im Domleschg auf sehr grosses Interesse stösst. So gross, dass jetzt schon die Fortsetzung in den 2. Domleschger Burgentagen von 2015 gesichert ist. Das wachsende Interesse unserer Zeit am Mittelalter und der einzigartigen Burgenlandschaft Domleschg ruft auf, dieses Kulturgut zu nutzen und - wenigstens ein paar Tage im Jahr – dem Publikum zu öffnen. Das grosse Interesse spricht aber auch für das ganzjährig unentgeltlich nutzbare Angebot der VIA DEI CASTELLI, das 2015 als erste fest installierte Burgenwanderung der Schweiz realisiert wird.
Fünf Tageswanderungen „Von Schloss zu Schloss…“
„Leider ausgebucht!“ mussten späte Interessenten immer wieder hören, wenn sie sich noch rasch anmelden wollten. Die Limite von 30 Teilnehmern musste bald auf 35 Teilnehmer erhöht werden, am Sonntag waren dann plötzlich 40 Burgenfreunde dabei. Wir zeigten uns flexibel, Grenzen setzte einfach die Platzzahl im Postauto nach Fürstenau. Zuerst erhielten die Teilnehmer in einem Schulungsraum am Bahnhof Thusis bei Kaffee und frischen Gipfeln eine geschichtliche Einführung durch den Mittelalterhistoriker Dr. Jürg Muraro. Der Burgenrestaurator Felix Nöthiger zeigte in einer Vorschau die Objekte der Tageswanderung und auch Ruinen im Domleschg, die aus Zeitgründen nicht besucht werden konnten. Und an den Wanderungen am Wochenende gab der beste Kenner der Burgensanierungen der letzten dreissig Jahre, der frühere Denkmalpfleger Dr. Hans Rutishauser einen Rückblick und Einblick in die Fragen rund um Burgensicherungen. Höhepunkte des Tages waren sicher die Besuche in den Schlössern Rietberg und Ortenstein. An dieser Stelle sei den Besitzern Fidel Hämmerle, Ursula und Lucas E. Linder ganz herzlich gedankt. Dem Domleschg begegneten die Teilnehmer auch beim Mittagessen: Der legendäre „Burgensalsiz“ eines Rothenbrunner Landwirtes und junger Alpkäse von der Feldiser Alp wurde auf einem Holzbrett mit dem Wappenbrand der Burg Juvalt gereicht. Mit oft nicht mehr ganz lockeren Knien erreichten die Burgenwanderer um 16 Uhr das Ziel in der Talsperre PORTA RHAETICA von 1216, wo sie sich nach der Führung in der Burgschenke ausruhen und verpflegen konnten.
Die Marschstrecke von 10.5 Kilometern war für ungeübte Wanderer in notwendigen Zeitplan streng, 2015 wird das Zeitprogramm der gleichen Wanderung um zwei Stunden erweitert, wer aus Basel oder Bern mit dem Zug anreist, muss früh aufstehen. Vereinfacht wird 2015 auch die Anmeldung und die Bezahlung der Wanderung. Mit 38.- Franken inklusive Führungen, Eintritte, Verpflegung, Bus und Bahnrückreise weisen die Burgenwanderungen ein Defizit aus, das durch PRO CASTELLIS auch 2015 getragen werden kann.
Mittelalterfest in Rothenbrunnen
31 Zelte, 76 Darsteller, 8 mittelalterliche Handwerker, drei Schlachtrosse, eine unüberhörbare Feldschlange des späten 15. Jahrhunderts, eine Steine werfende Blide des 14. Jahrhunderts – es war der grösste Mittelalteranlass, der bisher in Graubünden zu sehen war. Und es gab – in deutlichen Unterschied zu den Mode gewordenen „Mittelalterspektakeln“ – keinen Kommerz, keine Marktstände mit irgendwelchen wenig historischen Angeboten, keine Lautsprecheranlage, keine knalligen Farben und kein schepperndes Blech von Fantasy- Rüstungen. Aber viel direkte Begegnung mit dem mittelalterlichen Alltag. Und die Darstellen waren nicht Puppen eines Museums, sondern arbeitende und alle Fragen beantwortende Praktiker: Der Ziegler Urs, der zeigte, wie ein Biberschwanzziegel des 15. Jahrhunderts entsteht, der Töpfer Pepin von Stäffis am See, unter dessen Händen aus einem Klumpen Lehm wahlweise Becher, Krüge, Feuertöpfe oder Talglichter wuchsen, der Schmied Bernhard von Albbruck, der mit dem Gesellen Armin mit zwei Hämmern grosse Stücke schmiedete, lochte, nietete und die alte Feuerschweissung zeigte. Der Talger, der für die Besucher die beim Töpfer erstandenen tönernen Talglichter mit geschmolzenem Hammelfett füllte, der Bader, der Drechsler mit seiner Wippdrehbank, der Täschler mit Ahle und Pfriem, der Leinenhändler, die Frauen mit ihren Bandwebstühlen und den Spinnwirteln, deren Gewichte wir immer wieder auf Burgengrabungen finden – alles war sehr nahe bei der handwerklichen Realität des späten Mittelalters.
Auch die bescheidenen Möglichkeiten der mittelalterlichen Medizin wurden gezeigt: Beim Bader konnte man sich heisse Schröpfgläser aufsetzen lassen, die Comthurey Alpinum hatte ein ganzes Feldlazarett eingerichtet und zeigte das Chirurgiebesteck und die Wundbehandlung zur Zeit der Kreuzfahrer.
Für die sehr zahlreichen Kinder gab es in einem eigenen grossen Zelt nicht nur mittelalterliche Spiele und Bastelarbeiten rund um rohe Wolle, im Zelt von Jungschmied Matthias durften sie helfen, einen Haken auszuschmieden. Schmiedehaken, Wollbälle, Armbänder und gebastelte Spiele durften die Kinder ohne Bezahlung mitnehmen.
Dieser Betrieb der Handwerker und des Kinderprogrammes und der Dokumentarfilm „Die Zeit der Ritter“ liefen kontinuierlich von der Öffnung bis zum Tagesabschluss, zu festen angekündigten Zeiten zeigte die Reitergruppe der Ameninger den ritterlichen Zweikampf zu Pferde und gegen Unberittene, aber auch die Gewöhnung eines Schlachtrosses an solche Kampfsituationen. Zur vollen Stunde wurden auf der historischen „Reÿchsstrass“ durch die Talsperre Belagerungstechniken des 14. und 15. Jahrhunderts gezeigt: Zum Stundenschlag wurde die eisene Feldschlange der Bündner Cumpagnia Chalaveina 1499 geladen und mit dem Luntstock gezündet, gleich daneben stand die Blide „Rapunzel“, ein genauer Nachbau einer Belagerungs-Wurfmaschine des 14. Jahrhunderts. Sie schoss jede Stunde drei fast kopfgrosse Steine bis 160 Meter weit. Dass bei der Bedienung die Weberinnen und Spinnerinnen der Gruppe „Reisecen“ kräftig zulangten, gibt alte Bilddarstellungen wieder, in denen die Frauen, die in jedem Heer mitliefen, bei der Arbeit am Katapult tüchtig mitmachten. Und alle zwei Stunden öffnete sich die Panzertüre der historischen Festung Juvalta, die mitten in der Burganlage liegt. Die Besucher wurden geführt durch zwei Festungsfachleute, die auch zeigten, wie sehr sich die Festungsbaumeister des 20. Jahrhunderts an Vorbildern des Burgenbaues orientiert haben: Sichere Hocheingänge in die Werke, gekröpfte Zugänge mit inneren Toren, Sperrbalkenkanäle und Wurfschächte gab es schon an Bündner Burgen vor 800 Jahren…
Dass der grösste Mittelalteranlass, den es in Graubünden bisher gab, mit einem grossen Defizit enden würde, war schon bei der Planung im Vorjahre bekannt, der Vorstand von PRO CASTELLIS hat dafür 20‘000.- Franken bewilligt. Die Endabrechnung wird nun ein Defizit ausweisen, das mehr als doppelt so gross sein wird. Der zweitägige Dauerregen hat natürlich diesen Fehlbetrag wachsen lassen. Aber trotz widrigster Witterung kamen 366 zahlende Besucher nach Rothenbrunnen und 198 nichtzahlende Kinder. Bei freundlichem Wetter hätte sich die Besucherzahl vervierfachen können, ein grosses Defizit wäre gleichwohl geblieben.
Aber viel wichtiger als die leere Kasse ist uns die Freude, die die Besucher und die vielen Kinder zeigten. Und das einhellige Urteil der fünf Mittelaltergruppen und der freien Handwerker: Die ebene und harte Wiese vor der Talsperre, die natürliche Umgebung mit Bachlauf vor dem Hintergrund der Burgruine, die diskrete Infrastruktur, die qualitative Harmonie zwischen den verschiedenen Darstellern wurden immer wieder gelobt. Alle Darsteller und Gruppen haben zugesagt, auch 2015 gerne nach Rothenbrunnen kommen zu wollen, auch mit Anfahrten bis zu vier Stunden.
Die 2. Domleschger Burgentage werden im Juli 2015 stattfinden. Ob auch ein attraktives Feldlager wie im Vorjahr möglich sein wird, hängt davon ab, ob für das sichere Defizit eine Sponsorin oder ein Sponsor gefunden wird. Denn eines ist klar: Einen Mittelalteranlass, der auf Umsatz und Gewinn ausgerichtet ist und dafür Konzessionen macht zu Lasten der historischen Vorbilder, wird es in der PORTA RHAETICA nicht geben. Ein Defizit ist aus dieser qualitätsorientierten Sicht kein Misserfolg, sondern zwingende Folge – wie bei vielen kulturell hochstehenden Anlässen. Qualität ist nur zu haben, wenn sich Mäzene finden, oder in heutiger Sprache – Sponsoren.
Konzert „Renaissance in alten Mauern“
Das Fürstenauer „Domleschger Consort“ unter Leitung von Dr. Robert Grossmann brachte mit fernen Klängen des 14. – 16. Jahrhunderts eine wunderbare und fast unwirkliche Stimmung in die Mauern der PORTA RHAETICA. Ein Dutzend historische Instrumente, drei hochbegabte Berufsmusiker aus drei Ländern und die Handschriften des späten Mittelalters – was will man mehr? Es braucht keine Lichtschau, keine Mikrofone und keine Verstärkeranlage. Es war pures spätes Mittelalter, was da die Ohren zu hören bekamen. Natürlich war auch dieser Anlass defizitär und nur dank der Zürcher Mäzenin S.M.L.S. de H. möglich geworden. Sie hat den Anlass besucht und war von der Harmonie von Musik, Ort und Zuhörern so begeistert, dass sie bereits zugesagt hat, das Konzert auch 2015 zu ermöglichen.